25.01.2021 - Lauterbacher Anzeiger

Ehrengast in der Kanzel

Lauterbacher Vokalensemble umrahmt Pfingstgottesdienst in der Stadtkirche / Kirchenpräsident Dr. Volker Jung hält die Predigt

LAUTERBACH (eig). Normalerweise hätten am vergangenen Wochenende die Lauterbacher Pfingstmusiktage wieder zahlreiche Kulturliebhaber von nah und fern in die Kreisstadt gelockt. Doch die legendäre Musikreihe musste in diesem Jahr zum zweiten Mal hintereinander eine Corona-Pause einlegen. Erst vom 4. bis 6. Juni 2022 werden sich wieder Vokal- und Instrumentalensembles und -solisten an verschiedenen Aufführungsorten in Lauterbach die Klinke in die Hand geben. Gänzlich auf Musikgenuss zu Pfingsten verzichten musste man 2021 aber nicht. Denn wie in jedem Jahr wurde der traditionelle Pfingstgottesdienst in der Stadtkirche in ein musikalisches Begleitprogramm eingebettet, das vom Lauterbacher Vokalensemble unter der Leitung von Kantorin Claudia Regel gestaltet wurde. Die Pfingstpredigt hielt Kirchenpräsident Dr. Volker Jung.

Unter Corona-Bedingungen war das Gotteshaus nahezu bis auf den letzten Platz besetzt. Das durch die Sängerinnen und Sänger Tim Brod, Imke Graue, Heidi Hausmann-McAven, Sabine Keutzer-Striehl, Alfred Kraushaar, Annedore Ravan, Michael Rath und Daniel Schuch vertretene Vokalensemble konnte daher mit seinem Eröffnungschor von der Empore, der Choralbearbeitung „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“ und dem Choral „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ nach der Bearbeitung von Johann Sebastian Bach auch verhältnismäßig viele dankbare Zuhörerinnen und Zuhörer finden.

Beim Namen Lewandowski denkt heutzutage sicherlich jeder sofort an den Rekordtorschützen des FC Bayern München. Wohl nur die wenigsten werden dagegen von dem deutsch-jüdischen Komponisten Louis Lewandowski gehört haben. Zu Unrecht – ist der zwischen 1821 und 1894 Lebende doch der Begründer der modernen jüdischen Synagogalmusik mit Mehrstimmigkeit und Orgelbegleitung und wird daher auch der „Mendelssohn der Synagoge“ bezeichnet. Das Lauterbacher Vokalensemble entriss Louis Lewandowski mit dessen Vertonung von „Befiehl dem Ewigen deinen Weg“ aus dem Psalm 37 der Vergessenheit.

Die ganze Bandbreite des Repertoires, die sich das Ensemble inzwischen erarbeitet hat, zeigte sich auch bei dem 1565 vom englischen Komponisten Thomas Tallis veröffentlichten Hymnus „If ye love me“. Manch einer wird dieses klassische Werk der elisabethanischen Musik schon einmal in anderem Zusammenhang gehört haben – es wurde nämlich 2018 anlässlich der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle in der Kapelle von Schloss Windsor gesungen.

Die Pfingstpredigt in der Lauterbacher Stadtkirche hielt in diesem Jahr ein besonderer Ehrengast, nämlich der amtierende Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Dr. Volker Jung. „Ich freue mich, hier zu sein“, sprach Dr. Jung zur Begrüßung, denn der Platz in der Kanzel der Stadtkirche war für ihn kein unbekannter – amtierte er doch bis Anfang 2009 als Pfarrer in Lauterbach und zudem als Dekan des Evangelischen Dekanats Vogelsberg. Das Thema der Predigt von Dr. Jung war das Spannungsverhältnis von Vielfalt und Einheit vor dem Hintergrund der Geschichte vom Turmbau zu Babel. Dass Menschen verschieden sind, mache das Leben reich und bunt, bedeute aber auch eine Herausforderung. „Vielfalt ist schön, Vielfalt ist aber auch anstrengend“, zog Dr. Jung ein Fazit. Gerade in der Corona-Zeit träten bereits vorher erkennbare Probleme und gesellschaftliche Differenzen hervor. Soll es einheitliche Regeln für alle geben oder soll jeder unterschiedlich für sich eine Entscheidung treffen? Falsche Formen von Einheit und Einheitlichkeit seien auch bei Diktaturen in aller Welt immer zu beobachten. Im Rückblick auf den kürzlich stattgefundenen Ökumenischen Kirchentag meinte Dr. Jung, dass Ökumene gerade nicht bedeute, dass es nur eine vereinheitlichte christliche Kirche geben solle. „Wir wollen Einheit in Vielfalt leben“, so Dr. Jung.

Die neuzeitliche Komposition „I will sing with the spirit“ des britischen Komponisten John Rutter schloss sich als vierstimmiger Vortrag des Vokalensembles an. Die Fürbitte von Pfarrer Sven Kießling leitete über zur Choralkantate „Verleih uns Frieden gnädiglich“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Im Anschluss an den Segen entließen die erhabenen Klänge von „Rejoice in the Lord alway“ von George Rathbone die Besucherinnen und Besucher in den Pfingstmontag.

 

 

 

Quelle: Lauterbacher Anzeiger, "Ehrengast in der Kanzel", 25.05.2021