Geerdet und doch federleicht: Sierra Hull im Hohhaus Lauterbach

Lauterbacher Anzeiger: Geerdet und doch federleicht: Sierra Hull im Hohhaus Lauterbach
Die Sängerin und Mandolinistin Sierra Hull mit dem Kontrabassisten Ethan Jodziewicz im Hohhaus. Foto: Scheuer

23.05.2018 - Lauterbacher Anzeiger

Geerdet und doch federleicht: Sierra Hull im Hohhaus Lauterbach

Der Rokokosaal des Hohhauses gehört seit vielen Jahren zu den Spielorten der Lauterbacher Pfingstmusiktage und dies aus gutem Grund: Nirgendwo sonst lässt sich eine derart intime Konzertatmosphäre erzeugen, wie sie vor allem für Kammermusik unverzichtbar ist. Doch diesmal stand gar keine Kammermusik auf dem Programmzettel des Festivals, das vielmehr die US-amerikanische Singer-Songwriterin und Mandolinenvirtuosin Sierra Hull ankündigte.

LAUTERBACH - Der Rokokosaal des Hohhauses gehört seit vielen Jahren zu den Spielorten der Lauterbacher Pfingstmusiktage und dies aus gutem Grund: Nirgendwo sonst lässt sich eine derart intime Konzertatmosphäre erzeugen, wie sie vor allem für Kammermusik unverzichtbar ist. Doch diesmal stand gar keine Kammermusik auf dem Programmzettel des Festivals, das vielmehr die US-amerikanische Singer-Songwriterin und Mandolinenvirtuosin Sierra Hull ankündigte.

Aber Etiketten passen nicht zu den Pfingstmusiktagen, das wissen nicht nur die Stammbesucher, denn die künstlerische Leiterin Claudia Regel versteht es, mit jeder einzelnen Programmauswahl zu zeigen, dass es in der Musik um Wesentlicheres geht als um Etiketten und Klassifizierung. Sie setzt damit die gute Tradition von Karin Sachers fort. Und sie ist sich in diesem Musikverständnis sicherlich mit Sierra Hull einig, die bereits elfjährig als Wunderkind der amerikanischen Bluegrass-Szene gefeiert und gefördert wurde, und die mit dem Erwachsenwerden erkannte, dass es für sie in Zukunft nur „ihre“ Musik geben kann, ganz ohne Etiketten und Abgrenzungen. So trat sie vor das durchaus gleichgesinnte aber nicht weniger anspruchsvolle Lauterbacher Publikum.

Kein zartes Mädchen stand da vor ausverkauftem Haus, wie es vielleicht auf den ersten Blick hätte erscheinen können, denn mit den ersten Tönen ihrer glasklaren Gesangsstimme zeigte sich, dass hier eine selbstbewusste und musikalisch erfahrene junge Frau steht, die schon einige Bühnen der Welt gesehen hat, und mit den ersten Läufen und Akkorden auf der Mandoline machte sie klar, dass „Mandolinenvirtuosin“ kein Ehrentitel ist, sondern die selbstverständliche Voraussetzung dafür, das zu interpretieren, was Sierra Hull als „ihre“ Musik bezeichnet. Nur Sierra Hull kann Sierra Hull spielen und interpretieren, und wenn Sierra Hull Ikonen wie Wayne Shorter oder Ray Charles aufgreift, dann werden sie auch zu Sierra Hull. Das sind deutliche und schwerwiegende Worte, die nur deshalb schon so früh erwähnt werden, weil es trotzdem noch so viel zu Sierra Hull zu sagen gibt – denn eigentlich wäre damit schon alles gesagt.

Aber sie stand ja auch nicht allein vor vollem Haus, denn mit ihr trat der Kontrabassist Ethan Jodziewicz auf, nicht etwa als ihr Begleiter, eine ewige Rolle, die so vielen Bassisten dieser Welt anhaftet, sondern als gleichberechtigter, musikalischer Partner, selbstverständlich ebenfalls Virtuose seines Instruments und in sämtlichen musikalischen Stilen zu Hause. Seine musikalische Heimat mag der Jazz sein, was ihn aber nur dazu befähigt, keine Vorbehalte gegenüber anderen musikalischen Stilen zu haben und offene Ohren. Sensibles, interaktives Zusammenspiel, dezente Zurückhaltung, entschlossene Impulsgebung, gesangliche Kontrapunkte con arco. Ganz besonders eindrucksvoll war es, wie Jodziewicz mit den tieferen Frequenzen seines Instruments den Lauterbacher Rokokosaal zum Mitschwingen brachte.

Im Programmheft standen wohlweislich keine Titel. Was wurde also gespielt? Man stelle sich (innerlich grinsend) vor, wie den Mitarbeitern der GEMA die Köpfe rauchen, wenn sie versuchen, dieses Programm nach „U- und E-Musik“ zu klassifizieren. Einige Namen wurden bereits genannt: Wayne Shorter, Ray Charles, dazu Herbie Hancock, Loan Baez, Tears for Fears – große Namen, deren Musik Sierra Hull mit allem notwendigen Respekt interpretiert, genauso, wie sie zu ihren eigenen musikalischen Wurzeln in der Country- und Bluegrassmusik ihrer Heimat Tennesee steht: glaubwürdig, authentisch und emotional. „Tennesee-Waltz“ und das eine oder andere traditionelle Folk-Stücke auf Zuruf aus dem Publikum haben im Programm denselben Platz wie künstlerisch hoch differenzierte Stile. Durch die Art, wie das Duo es spielt, wird es authentisch, wird es glaubwürdig, wird es Sierra Hull.

Wie diese junge Frau in Stiefeln und Sommerkleid zwischen Mikrofonkabeln und Effektgeräten auf dem altehrwürdigen Eichenparkett des Rokokosaals steht, geerdet und doch federleicht, beschreibt ihre Musik nur im Ansatz. Um zu verstehen, was Sierra Hull macht, muss man Sierra Hull erleben. Welch Glück, dass dies in Lauterbach möglich war.

Quelle: Lauterbacher Anzeiger, "Geerdet und doch federleicht: Sierra Hull im Hohhaus Lauterbach"Link zur Quelle, 23.05.2018

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