Erzählerische Raffinessen und explosive Kraft
Erzählerische Raffinessen und explosive Kraft
Von Martin G. Günkel
BEEINDRUCKEND Festliches Pfingstkonzert mit Musik von Schubert und Beethoven / Hoch emotionale Darbietungen
LAUTERBACH - Ob es Franz Schuberts erzählerische Raffinessen waren oder Ludwig van Beethovens explosive Kraft – alles das kam im festlichen Pfingstkonzert der Lauterbacher Pfingstmusiktage ganz zum Tragen und sorgte für einen weiteren Höhepunkt in der Reihe dieser groß angelegten Stadtkirchen-Konzerte. Da fehlte nichts, die Beteiligten brauchten sich hinter niemandem zu verstecken.
Auf dem Programm standen die Messe in B-Dur für Soli, Chor und Orchester (D 324), „Gebet“ für Soli, Chor und Klavier (D 815), „An die Sonne“ (D 439) und „Des Tages Weihe“ (D 763) für Chor und Klavier sowie Beethovens Fantasie in c-moll op. 80 für Klavier, Soli, Chor und Orchester – kurz „Chorphantasie“ genannt. Die Pianistin Wiebke Weidanz spielte einen historischen Hammerflügel. Die Gesangssolisten waren Simone Schwark (Sopran), Birgit Schmickler (Alt), Christian Dietz (Tenor) und Christoph Kögel (Bass). Das Orchester concerto classico frankfurt und der Chor der Lauterbacher Pfingstmusiktage (das ist die Lauterbacher Kantorei mit vielen Gastsängern) musizierten unter der Leitung von Christoph Siebert.
Nicht nur der Hammerflügel war ein historisches Instrument, sondern das gesamte Orchester kam mit Instrumenten, wie sie zu Lebzeiten Franz Schuberts und Ludwig van Beethovens üblich waren. Insbesondere bei den Bläsern war das auf den ersten Blick zu sehen, aber auch bei den Streichern gibt es Unterschiede.
So war der Kontrabass mit Darmbünden versehen, wogegen die Bässe im modernen Orchester – wie alle Streicher – bundlos sind. Wie ein Orchester zu Beethovens Zeiten wirklich geklungen hat, werden wir nie wissen, aber diese alten Instrumente klingen einfach wunderbar und sind es wert, weiterhin gespielt zu werden.
Bei concerto classico frankfurt waren diese Instrumente in besten Händen, Chor und Solisten trugen ebenso zum Gelingen der Aufführung bei. Das ging gleich im Kyrie, dem ersten Teil der B-Dur-Messe, los. Für eine Bitte um Erbarmen klingt Schuberts Vertonung erstaunlich positiv. Immer wieder dunkelt der Komponist seine Musik ab, um sie dann aber wieder aufzuhellen. Solche unerwarteten Dinge sind typisch für Schuberts musikalische Erzählweise – und dieses Beispiel kam bestens zur Geltung.
Die Stelle „miserere nobis“ im Gloria war da erheblich düsterer. Wie das Orchester dabei seine mal tastenden, mal pochenden Figuren unter den bewusst fast statisch wirkenden Gesang legte, war packend. Nach einer Weile kommen mehr Kraft und Bewegung in den Chor-Part. Das gestalteten die Sänger mit einem fließenden Übergang, der unter die Haut ging. Sowohl das Orchester als auch der Chor hatten die nötige Beweglichkeit, um schnelle, kraftvolle Passagen der Messe zu einem Feuerwerk zu machen. Sie sorgten dafür, dass der Klang riesenhaft und locker zugleich war – so tut es diesen Momenten der Komposition am besten. Die Abstimmung der Stimmen untereinander war jederzeit stimmig, so dass Schuberts reichhaltige Klangfarben immer zum Zuge kamen.
Bei der Messe begeisterte die Arbeit mit der Dynamik ebenso wie in den Schubert-Stücken, bei denen der Chor ausschließlich vom Klavier begleitet wurde. Siebert und die Sänger änderten die Lautstärke zum Teil von Note zu Note deutlich, und das mit einer spannenden Gesamtdramaturgie. Der Hammerflügel klingt feiner als ein modernes Klavier und hat ein anderes Anspracheverhalten. Mit Wiebke Weidanz wurde er von einer feinsinnigen Pianistin bedient, die die Möglichkeiten zu feinsten Nuancen auf diesem Instrument bestens nutzte. Das galt für die Schubert-Lieder ebenso wie für die Chorphantasie. Einer der Glanzpunkte des Konzerts.
Angesichts der erstklassigen Orchesterarbeit hätte sich eines wirklich gelohnt: die alte Orchestersitzordnung mit den zweiten Geigen rechts außen, also den ersten Geigen gegenüber. Celli und Bratschen sind dabei in der Mitte. So sitzt concerto classico frankfurt normalerweise auch.
Diesmal aber hatte sich Christoph Siebert für die sogenannte amerikanische Sitzordnung entschieden – mit beiden Geigengruppen links nebeneinander und den Celli rechts außen. Das ist erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitet und war damals ein Kompromiss wegen schlechter Mikrophone. Die ältere Sitzordnung klingt ausgewogener, weil die hohen Instrumente die volle Breitseite des Orchesters ausfüllen. Obendrein werden dadurch Frage-Antwort-Spiele zwischen den ersten und zweiten Geigen transparent. Wie gesagt: So etwas lohnt sich bei besten Interpretationen, deshalb hier diese Anregung.
Fazit: Es war wieder einmal eines dieser hoch emotionalen Konzerte am Pfingstsonntagabend in der Lauterbacher Stadtkirche. Das verdankte sich zum einen den wunderbaren Sängern und Instrumentalisten und zum andern einem Dirigenten, der ebenfalls die gespielte Musik lebte und obendrein seine Musiker sichtlich mochte.
Quelle: www.lauterbacher-anzeiger.de, "Erzählerische Raffinessen und explosive Kraft ", Link zur Quelle, 25.05.2015