Mit Knochen und Akkuschrauber

Die Gruppe „Gankino Circus“ begeistert zum Abschluss der Pfingstmusiktage mit unkonventionellem Konzert

Gankino Circus
Eine zirkusreife Nummer boten die vier Musiker von „Gankino Circus“ beim Abschlusskonzert der diesjährigen Lauterbacher Pfingstmusiktage. Foto: Eigner

01.06.2023 - Lauterbacher Anzeiger

Mit Knochen und Akkuschrauber

Die Gruppe „Gankino Circus“ begeistert zum Abschluss der Pfingstmusiktage mit unkonventionellem Konzert

LAUTERBACH (eig). „Diese vier reißen den Laden hier ab!“, hatte Tim Brod, Vorsitzender des Fördervereins für die Lauterbacher Pfingstmusiktage, zum Auftakt des letzten Konzerts der diesjährigen Saison keinesfalls zuviel versprochen. Natürlich nahmen die vier Musiker der Gruppe „Gankino Circus“ den altehrwürdigen Saalbau „Johannesberg“ nur im übertragenen Sinn auseinander, doch ein solches wahres Spektakel, das musste man zugeben, erlebt man bei der traditionsreichen Konzertreihe gewiss nicht alle Tage. Nicht ohne Grund war das Gastspiel des reichlich schrägen Quartetts schon einige Tage vorher bis auf den allerletzten Platz in der hintersten Reihe komplett ausverkauft. Simon Schorndanner (Klarinette/Saxofon/Gesang), Maximilian Eder (Akkordeon), Johannes Sens (Schlagzeug) und Ralf Wieland (Gitarre) musizieren schon seit ihrer Jugend zusammen und kommen aus dem mittelfränkischen Dietenhofen, einem Örtchen knapp 30 Kilometer westlich von Nürnberg, wo sich nach eigener Aussage in Ermangelung einer Bushaltestelle die Oma mit dem Rollator auf die Straße stellen muss. Die idyllische Landmusik mit leisem Kuhglockengebimmel zum Auftakt war da nur eine Aufwärmübung, denn sie nahm rasch an Hektik zu und wurde zudem mit einem gehörigen Schuss Kleszmer kräftig aufgemöbelt – eine Art fränkisch-internationale Volksmusik, denn Gankino Circus ist zwar erkennbar mit ihrer fränkischen Heimat verbunden, hat aber allen damit verbundenen spießigen Klischees entsagt.

Hommage an „Weizen-Charlie“
In ihrem Bühnenprogramm „Die Letzten ihrer Art“ nahmen die vier das Publikum zugleich mit in ihre Jugendzeit, die sie wie bekundet zwischen 14 und 21 Jahren hauptsächlich im Gasthaus „Zur Heiligen Gans“ in Dietenhofen bei dem Kneipenwirt mit dem schönen Spitznamen „Weizen-Charlie“ verbracht haben. Gewisse Anklänge an die Blaskapelle, in der die Gruppe vor langer Zeit ihre musikalische Laufbahn begonnen hat, waren unverkennbar, doch biedere Wirtshausromantik war natürlich keineswegs im Sinn von Gankino Circus. „Hat sich denn der Wirt erhängt, weil er uns kein Bier ausschenkt?“, lautete mit geschwärztem Humor und in kräftiger fränkischer Mundart die Frage an das Publikum, denn die Musik wurde immer gekonnt durch Pointen unterbrochen. Auf das Genre „Konzertkabarett“ haben Schorndanner, Eder, Sens und Wieland gewissermaßen ein Copyright, denn sie haben es eigentlich erst erfunden und mittlerweile zur höchsten Kunst erhoben. Mit dem renommierten deutschen Weltmusikpreis RUTH wurden sie 2019 gekrönt und vertraten Deutschland 2015 auf der Weltausstellung in Mailand. Und erst in diesem Jahr hatten sie in der Kultsendung „Fastnacht in Franken“ einen Live-Auftritt auf Millionen TV-Bildschirmen.

Viele abgedrehte Wirtshausgeschichten waren zu erzählen, etwa die vom „Kurgast-Flori“ alias Florian Silbereisen, der der Dietenhofener „Gans“ einst inkognito einen Besuch abgestattet haben soll. Und eindeutig zirkusreif war dabei auch die eine oder andere artistische Einlage. Irgendwann im Verlauf der Geschichte segnete dann der gute „Weizen-Charlie“, der selbst sein bester Kunde war, aber das Zeitliche und die vier wechselten mangels Alternative zum ortsansässigen Griechen Vasilis Kostas („Was kost’ das?“). An diesem Punkt erfuhren die Zuschauenden so ganz nebenbei auch, wie die vermeintlich urtümliche griechische Folkloremusik á la Sirtaki, welche in hellenischen Lokalen als Hintergrundberieselung vom Band läuft, eigentlich entsteht. Nämlich mithilfe von Gitarre und Akkuschrauber, der mit passendem Aufsatz versehen den Saiten dann die nur zu gut bekannten Klänge entlockt.

Stehende Ovationen
Auch das Geheimnis, was hinter dem Namen von Gankino Circus eigentlich steckt, wurde aufgedeckt. Denn die vier Franken waren ab 2007 als Straßenmusiker in ganz Europa unterwegs und so schnappten sie auch den bulgarischen Tanz Gankino auf, der sich durch einen schnellen 11/8-Takt auszeichnet. Im Zuschauer-Quiz um ein Weizenglas ließ die Gruppe den populären „Zillertaler Hochzeitsmarsch“, den Rammstein-Hit „Engel“ und die „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi in diesem irren Sound erklingen. Tatsächlich erkannten nur wenige auf Anhieb die solcherart verfremdeten Lieder. Getoppt wurde das dann noch vom „Weizen-Charlie-Requiem“, das zu Ehren des verstorbenen Lieblingswirts auf dem „Bonophon“ gespielt wurde. Eine Art überdimensionales Xylophon aus (angeblich) den heiliggesprochenen Knochen von Charlie, das so fetzig „bearbeitet“ wurde, dass während dem Spiel sogar einige Knochensplitter auf der Bühne landeten.

Höchst originell simulierten die Musiker auch aufziehendes Regenwetter durch eine schwingende dünne Blechplatte und das Zerknüllen einer Plastikfolie. Längst hatte sich da die Begeisterung von der Bühne auf die Zuschauerreihen übertragen, welche das Spektakel mit stehenden Ovationen begleiteten. Auch bei dem originalen fränkischen Rock n’ Roll, der als Hommage an jenen unbekannten GI – in Franken waren einst viele US-Soldaten stationiert – gedacht war, welcher einst in der „Gans“ seine E-Gitarre ausgepackt und losgelegt hatte. Nach dieser Euphorie mussten natürlich gleich zwei lange Zugaben her - einmal ein musikalisches Potpourri und dann schließlich noch eines der – Zitat – „wenigen Volkslieder, die auch außerhalb von Dietenhofen bekannt sind“ – nämlich „Kein schöner Land in dieser Zeit“ in einer speziellen Version. Der Saal verabschiedete Gankino Circus nach dieser absolut heißen Nummer mit einem wahren Applausorkan. Die schlechte Nachricht: Die 49. Lauterbacher Pfingstmusiktage sind damit schon Geschichte. Die gute Nachricht: Die 50. Lauterbacher Pfingstmusiktage stehen bevor. Und die vier Musiker aus Mittelfranken bleiben hoffentlich nicht „Die Letzten ihrer Art“.

Quelle: Lauterbacher Anzeiger, "Mit Knochen und Akkuschrauber", 01.06.2023

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