Aus einer anderen Zeit
Pfingstmusiktage: Johann Rosenmüller Ensemble bietet Musik italienischer Meister
08.06.2022 - Lauterbacher Anzeiger
Aus einer anderen Zeit
Pfingstmusiktage: Johann Rosenmüller Ensemble bietet Musik italienischer Meister
LAUTERBACH (eig). Ein beachtenswerter Streifzug durch ein heutzutage zu Unrecht eher vergessenes Kapitel der Musikgeschichte bot sich im Rahmen der 48. Lauterbacher Pfingstmusiktage. Auf dem Programm des Konzerts in der Stadtkirche standen die Werke von zumeist wenig bekannten italienischen Komponisten der Epoche des Übergangs von der Renaissance zum Barock vom späten 16. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das Johann-Rosenmüller-Ensemble war hierfür die ideale Besetzung, denn die 1995 vom gebürtigen Hessen und Musikwissenschaftler Arno Paduch in Leipzig gegründete achtköpfige Formation widmet sich speziell der Wiederaufführung eben jener „unbekannten“ Musik des 16. und 17. Jahrhunderts.
Eine authentische Interpretation der Werke dieser Zeit möchte das Johann-Rosenmüller-Ensemble nach eigenem Anspruch nicht nur durch sein gründliches Quellenstudium erreichen, sondern auch durch das Spielen auf Kopien zeitgenössischer originaler Musikinstrumente. Und tatsächlich ergab sich durch Letzteres ein nicht alltägliches Klangerlebnis. Dazu gehörten neben der in unterschiedlichen Größen eingesetzten Posaune (gespielt von Alexander Brungert, Masafumi Sakamoto, Hans-Dieter Gilleßen und Tural Ismayilov), der Violine (gespielt von Volker Mühlberg) und der Orgel (gespielt von Jürgen Banholzer) auch zwei Musikinstrumente, die in heutigen Orchestern in der Regel nicht mehr zu finden sind.
Ensemble-Mitglied Johannes Vogt verwendete die Chitarrone. Die langhalsige Laute mit ihrem charakteristischen zweiten Wirbelkasten war im frühen Barock das bevorzugte Instrument für die Generalbassstimme, bevor sie aus der Mode kam. Entwickelt wurde sie, um auch bei größeren Besetzungen noch eine gut hörbare tiefe Bassstimme spielen zu können. Ensemble-Leiter Arno Paduch ist hingegen ausgewiesener Experte für ein Instrument, das wohl die wenigsten einmal zu Gesicht bekommen haben: den Zink, italienisch auch Cornetto genannt und mit dem heutigen Kornett der Blechbläser nicht zu verwechseln. „Der Zink ist ein Blechblasinstrument ohne Blech“, charakterisierte Paduch das zweifach gekrümmte urtümliche Instrument, das wie eine Kreuzung aus Blockflöte und Trompete anmutet. Bis zu seiner allmählichen Verdrängung durch die Violine ab etwa 1650 war der Zink eines der wichtigsten Musikinstrumente überhaupt und wurde auch und zuletzt hauptsächlich von den sogenannten Stadtpfeifern verwendet, die unter anderem von den Türmen der Städte herab die Zeit verkündigten. „Später wurde der Zink das Synonym für schlechte Musiker“, so Arno Paduch über den Niedergang des Instruments, das erst mit der Wiederbelebung der „Alten Musik“ (Musik aus der Zeit vor etwa 1750) vor mehr als 40 Jahren wieder neu entdeckt wurde.
Die ausgewählten Kompositionen boten den zahlreichen Interessierten in der sehr gut besuchten Lauterbacher Stadtkirche durchweg Neues, eben weil deren Schöpfer nicht häufig auf den Spielplänen stehen. Barocke Pracht entfaltete sich bereits in den beiden Eingangsstücken, der „Sonata ventidue a 6“ und der „Sonata ventuno a 6“ von Giovanni Battista Buonamente (um 1595-1642), einem Franziskanerpriester aus dem lombardischen Mantua. Dieser stand wiederum in seinem Frühwerk in der Tradition von Giovanni Gabrieli (um 1555-1612), einem der bedeutendsten Vertreter der sogenannten Venezianischen Schule an der Schwelle zum Barock und zugleich Lehrer von Heinrich Schütz, dem „Vater der deutschen Musik“. Sein „Canzon terza a 6“ und „Canzon prima detta la Spiritata“ gaben den Posaunenklängen ausgiebig Gelegenheit, sich auszubreiten.
In einer Mischung aus Heiterkeit und Erhabenheit labte sich das „Canzon ottava a 6“ von Biagio Marini (1594-1663), einer der frühen Virtuosen der Violine. Betont ruhig und feierlich kam dagegen sein „Canzon decima a 6“ daher. Die Chitarrone durfte sich speziell bei den Werken von Pietro Paolo Melli (1579-nach 1623) wie dem „Capricio detto il bel Virtuoso Reggiano“ präsentieren, wirkte dieser doch zu Lebzeiten als Lautenist mit diesem Instrument in der Hofkapelle der römisch-deutschen Kaiser Matthias II. und Ferdinand II..
Ebenfalls eine verkannte Berühmtheit ist Girolami Frescobaldi (1583-1643), einer der ersten, der ausgedehnte musikalische Werke für Tasteninstrumente komponierte und jahrelang als Organist am Petersdom in Rom wirkte. Selbst Johann Sebastian Bach ließ sich noch von ihm inspirieren.
Den Schlusspunkt setzte das Ensemble mit dem ruhig-sanften „Canzona decimaquarta a 6“ von Giovanni Picchi (1572-1643). Die Künstler durften sich anschließend über lang anhaltenden Applaus in der gut besuchten Lauterbacher Stadtkirche freuen, denn dieses informativ dargebotene authentische Klangerlebnis einer längst vergangenen Zeit war nicht alltäglich.
Quelle: Lauterbacher Anzeiger, "Aus einer anderen Zeit", 08.06.2022