Als habe es die gesamte Popmusik nie gegeben...
Als habe es die gesamte Popmusik nie gegeben...
Von Klaus Scheuer
KONZERT The Old Dance School gaben ein ungewöhnliches Konzert in Lauterbach
LAUTERBACH - Kann man Überraschungen erwarten? Oder sind es dann keine Überraschungen mehr? Während der Lauterbacher Pfingstmusiktage ist dies kein Widerspruch, und da machen auch die fünften Pfingstmusiktage unter Regie von Claudia Regel keine Ausnahme. Und noch etwas ist kein Widerspruch: Tradition und Moderne. Es sind vielmehr die Pole einer lebendigen Musik, die man so, wie sie war, niemals erwartet hätte.
„The Old Dance School“, der Name lässt es jedenfalls nicht vermuten, was das Sextett aus Birmingham im Lauterbacher Johannesberg auf die Bühne zaubern wird. „Ich hatte fast befürchtet, normalen Folk zu hören“, so formulierte es ein Besucher des Konzerts und war froh, dass er dennoch gekommen war, denn was er zu hören bekam, war zwar vom britischen Folk beseelt, jedoch alles andere als „normal“. Somit passte die Musik der Old Dance School auch treffend zu Pfingsten, denn hier verbanden sich die verschiedensten musikalischen Sprachen und Ausdrucksformen zu einer lebendigen und allseits und jederzeit verständlichen Sprache.
Alle Fragen waren dahin, nachdem die ersten Stücke gespielt waren, nicht weil sie beantwortet wären, sondern um dem Staunen Platz zu machen. Im Kern ist die Gruppe mit Gitarre und Gesang, zwei Geigen oder Geige und Bratsche sowie Perkussion durchaus im Sinne der „british traditional music“, der Volksmusik der britischen Inseln, besetzt. Dies sind die Wurzeln der Musik, welche die jungen Musikerinnen und Musiker aus dem mittelenglischen Birmingham zum Erblühen bringen. Benannt nach dem Ort ihrer Gründung vor acht Jahren beweisen sie, dass sie die Tradition schätzen, ihr Respekt zollen – nicht weil früher alles besser war, sondern weil sie die Wurzel alles Neuen und Modernen ist, das aus ihr wachsen kann, wenn man ihr Nahrung schenkt. Wenn man sie nicht im Museum vertrocknen lässt und vor Ehrfurcht erstarrt, sondern sie spielerisch und frech, riskant und humorvoll ins Licht der Gegenwart rückt.
Dies bedeutet nicht zuletzt eine Befreiung aus dem Schatten der westlichen Popmusik, dem wohl einflussreichsten Spross aus britischem Folk und der afroamerikanischen Musik des 19. und 20. Jahrhunderts. Letztere beweist mit dem Jazz, dass sie auch unabhängig von der Popmusik noch heute am Leben ist. Einen ganz aktuellen Lebensbeweis für den britischen Folk lieferte The Old Dance School mit einer Musik, für die es noch gar kein Etikett gibt. Jazz ist jedenfalls ein Verbündeter bei der Beweisführung, er stellt die Verbindung her zwischen Tradition und Moderne und öffnet die inneren und äußeren Grenzen der Musik.
Robin Beatty, Sänger und Gitarrist der Band, verfügt gesanglich über authentische Sicherheit und auf der Gitarre über ein Klangspektrum von der keltischen Harfe bis zur Rockgitarre. Die beiden Streicherinnen Helen Lancaster und Samantha Norman bestechen durch ein energisches und zugleich präzise koordiniertes Zusammenspiel. Adam Jarvis am Kontrabass und Jim Molyneux am Schlagzeug bilden eine homogene Rhythmusgruppe und Trompeter Aaron Diaz überrascht technisch und klanglich gleichermaßen, fügt sich als Klangfarbe homogen in die Streicherlinien ein, experimentiert mit Loops und Effekten und bildet das Bindeglied zum Jazz, den er klanglich von Chet Baker bis Nils Petter Molvaer auslotet.
Was dabei herauskommt, muss überraschend sein, weil man so etwas nicht erwarten kann: eine lebendige Musik, die auf britischen Folk und afroamerikanischen Wurzeln gründet und dabei klingt, als habe es die gesamte westliche Popmusik nie gegeben.
Quelle: www.lauterbacher-anzeiger.de, "Als habe es die gesamte Popmusik nie gegeben...", Link zur Quelle, 27.05.2015