Mit ungewohnten Klängen Geschichte erzählt

Lauterbacher Anzeiger, Dekalog - 10.06.2014
Foto: Günkel

KONZERT Komponist Gerhard Müller-Hornbach und das Mutare Ensemble konzertierten in der Stadtkirche

LAUTERBACH (Martin G. Günkel). 

Mit so genannter Neuer Musik haben die Lauterbacher Pfingstmusiktage vor über vier Jahrzehnten angefangen. Zu diesen Wurzeln wollte die künstlerische Leiterin des Festivals, Claudia Regel, bei einem Programmpunkt zurückkehren und lud den Komponisten Gerhard Müller-Hornbachund sein Mutare Ensemble in die Stadtkirche ein. Auf dem Programm stand Müller-Hornbachs Suite „Dekalog“.
Die Konzertmusik des 20. und 21. Jahrhunderts ist vielfältig und beinhaltet auch Kompositionen,die verbreiteten Hörgewohnheiten entgegenkommen. MüllerHornbachs „Dekalog“ gehört nicht dazu, sondern hier werden Grenzen gesprengt. Der Komponist verwendet mehrere Tonsysteme sowie temperierte und nicht temperierte Stimmungen auf einmal. Die Musiker erzählten mit dieser musikalischen Sprache eine Geschichte –und das mitzuerleben war auchdann faszinierend, wenn einem die Sprache an sich fremd blieb.

Gerhard Müller-Hornbach erklärte den rund 60 Besuchern kurz das Konzept seiner Suite. Als die Anfrage für eine Komposition über den Dekalog – also die Zehn Gebote – gekommen sei, sei er sich sehr unsicher gewesen, wie das funktionieren könnte. Sehr schnell sei ihm jedoch klar gewesen, dass er nicht den Text der Gebote vertonen werde. Stattdessen wolle er in der Suite Auseinandersetzungen von Individuen mit den Geboten darstellen. Die seien nämlichals richtig und notwendig anerkannt, zugleich habe aber jeder Mensch sein eigenes Wollen.
Zu jedem Gebot gibt es einen Satz, in dem jeweils ein anderes Soloinstrument vorkommt. Kontrabass (gespielt von Nicola Vock) und Schlagwerk (Maximilian Gärtner) bilden in jedem dieser Sätze ein Klangkontinuum, das ein Eigenleben führt. Die Suite endet mit einem elften Satz, bei dem alle Solo-Instrumente gemeinsam vorkommen und dem der Komponist den Titel „Epilogo utopico“ gegeben hat. Müller-Hornbach erklärte, es gehe hier um die Utopie eines Zusammenwirkens der musikalisch dargestellten Individuen.

Die Besetzung führt Instrumente zusammen, die nicht oft in ein und derselben Komposition vorkommen: Akkordeon (Claudia Hornbach), Violine (Susanne Stoodt), Tenor-Saxophon (JuttaFischer), Violoncello (Susanne Müller-Hornbach), Trompete (German Marstatt), Alt-Flöte (Dirk Peppel), Klarinette (Ulrich Mehlhart), Gitarre (Christopher Brandt), Horn (Deepa Goonetilleke) sowie Tenor- und Sopran-Blockflöte (Sabine Ambos). Sie alle werden mit ungewöhnlichen Techniken gespielt, mit denen Müller-Hornbach ihnen neue Klänge entlockt. Am Beispiel der Gitarre sei erklärt, wie dies funktionieren kann. Es handelte sich hier um eine klassische Gitarre mit Nylon-Saiten. Die spielte Christopher Brandt mit einem Bottleneck, ein Röhrchen, dass sich Gitarristen auf einen Finger der Greifhand stecken, um damit stufenlos Tonhöhen ändern zu können. Bei Nylon-Gitarren sind Bottlenecks unüblich. Das ist aber nicht das einzig Besondere bei Müller-Hornbachs Verwendung dieses Werkzeugs. Denn normalerweise dämpfen Bottleneck-Spieler mit der linken Hand die Saiten in Richtung Kopfplatte ab. Andernfalls klingen die Saiten nämlich auf beiden Seiten des Röhrchens. Genau das möchte Gerhard Müller-Hornbach. Dass der Gitarrist auf das Abdämpfen verzichtet, nutzt er, um spezielle Klang-Texturen zu erzeugen. 

Zu den faszinierenden Dingen im Konzert gehörte das Zusammenspiel der Musiker. Wie Bass und Schlagwerk ihre Klänge häufig geradezu in die Texturen des jeweiligen Solo-Parts hineinspülten, wie die Klänge verschiedener Instrumente sich miteinander verbanden – so etwas ist nur möglich mit Musikern, die einander wirklich zuhören. Nicht jeder mag solche Musik –aber auchMusik mit vertrauteren Ausdrucksmitteln ist immer eine Sache des persönlichen Erlebens.

 

Quelle: Printausgabe Lauterbacher Anzeiger, "Mit ungewohnten Klängen Geschichte erzählt", Link zur Quelle, 10.06.2014

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