Der Geist des Klezmer traf den Geist der Stadtkirche
Giora Feidman Trio und Murat Coskun spielten bei den Lauterbacher Pfingstmusiktage
erschienen bei Lauterbach-Anzeiger am 29.05.2012
von Martin G. Günkel - LAUTERBACH. Als sich Giora Feidman am Nachmittag des Pfingstsamstag von Erwin Fauß die Lauterbacher Stadtkirche zeigen ließ, sagte er: „In dieser Kirche gibt es einen besonderen Geist." Fauß berichtete das dem Publikum des Festakts zum 40-jährigen Bestehen der Plingstmusiktage. Dieser „besondere Geist" traf am Abend auf wunderbareWeise auf einen anderen besonderen Geist, den „Spirit of Klezmer“. So nämlich lautete der Titel des Konzerts, das das Giora Feidman Trio in der Stadtkirche gab. Diese intensive Musik in der Atmosphäre der Stadtkirche mit ihrer Architektur, ihren Farben und insbesondere ihrem warmen und zugleich unaufdringlichen Hall — das war einzigartig.
Neben Feidman gehören Enrique Ugarte (Akkordeon) und Guido Jäger (Kontrabass) zum Trio. Als Gast spielte der Perkussionist Murat Coskun, der gegen Ende der ersten Hälfte dazukam.
Feidman begann alleine mit seiner Klarinette und zog von hinten in die Kirche ein, wobei er sich viel Zeit ließ. Er spielte ganz leise und blieb immer wieder stehen. Vorne angekommen, sagte er: „Bitte, eine Note.“ Er sang diese Note vor, und die Zuhörer sangen ihm einen langen Bordun. über dem er lange, intensive Noten, verziert mit etlichen schnellen Glissandi spielte.
So war das Publikum von Anfang an eingebunden und wirkte immer wieder gerne mit. Als das ganze Trio „Hava Nagila” spielte, summte das Publikum mit, und das sehr gut. Das Mitsingen wurde immer kräftiger. sehr bald wurde auch mitgeklatscht. Dass das Mitsingen so gut funktionierte, mag zum Teil daran gelegen haben, dass viele Kantorei-Mitglieder im Publikum waren - aberes war auch die enomre Intensität der Musik, die die Hörer packte. Nach „Hava Nagila" applaudierte Feidman zurück und bedankte sich für das Mitsingen: "You sing so beautiful." („Sie singen so schön.")
Immer wieder sang das Publikum mit, am Ende sogar im Kanon. Einmal ließ Feidman abwechselnd die Damen und die Herren singen wobei er den Damen Komplimente machte und bei den Herren nach ein paar Takten humorvoll abbrach: „Okay. vielen Dank." (Die Damen intonierten tatsächlich wesentlich sicherer.)
„Ich spiele nicht Klarinette. Ich bin ein Sänger". sagt Giora Feidman von sich. „Ich singe durch mein Instrument." Genau das Gefühl hat man, wenn er spielt. Jede Note ist ganz persönlich - und jede hat besagte Intensität. Auch wenn er ganz leise spielt, hat das Ganze viel Energie, viel Lebenskraft. Diese Lebenskraft wird von den anderen Musikern mitgetragen. Auch Enrique Ugarte ist ein Sänger, der durch sein Instrument singt. Ob er ein melodiöses Solo spiellt oder dezent für Groove und Harmonie sorgt, immer ist es eine Freude, ihm zuzuhören.
Das gleiche gilt für Bassist Guido Jäger, der stets einen singenden. warmen Ton hat. Murat Coskun braucht nicht viele Instrumente auf einmal, damit ihm nahezu alle Möglichkeiten offenstehen. Eine einzelne Trommel, beispielsweise eine Djemhe, genügt ihm. Drei verschiedene Religionen seien auf der Bühne, sagte Feidman, aber eine Sprache — die Musik. Für diese Aussage gilt das gleiche wie für das, was Feidman über sein Selbstverständnis als Sänger sagt: Man spürt es.
Diese Musiker können einander blind vertrauen, auch bei einem der Stücke von Guido Jäger, das die Musiker erst am Nachmittag in Augenschein genommen hauen. Feidman hatte es nach eigener Aussage nicht geübt und spielte es vom Blatt - kurze Zeit später sangen die Hörer begeisten mit. Nach dem Konzert beim Hinausgehen hatten noch immer etliche Besucher die Melodie auf den Lippen. Feidtnan nahm immer wieder auf einem Stuhl im hinteren Bereich des Altarraums Platz, um seinen musikalischen Gefährten die Bühne zu überlassen.
Jeder spielte ein Solostück. Jäger und Ugarte begeisterten mit einem Duo. Feidman jubelte seinen Freunden gemeinsam mit dem Publikum zu. Für Giora Feidman ist Musik immer auch eine Friedensbotschaft. Was das bedeutet, muss nicht erklärt werden, wenn man es in einem Konzert wie diesem erleben kann. Publikum und Musiker hatten gemeinsam Freude — da gab es nichts mehr anderes.
Oft werde er gefragt, weshalb er in kleinen Städten spiele, sagte Feidman. Für ihn bestehe zwischen der Lauterbacher Stadtkirche und der Carnegie Hall kein Unterschied. „Everywhere is Menschen", sagte er in seinem typischen Mix aus Englisch und Deutsch.
Die Musik war voller Lebensfreude und Humor, es gab aber auch viele melancholische und düstere Momente. Diese waren allerdings nie deprimierend, sondern eine bestimmte Lebensenergie war auch in ihnen spürbar. Häufig entschärfte Ironie die Düsternis.
Es war ein ganz besonderer Abend der sich eigentlich nicht beschreiben lässt.
Quelle: Printausgabe Lauterbacher Anzeiger, "Der Geist des Klezmer traf den Geist der Stadtkirche", Link zur Quelle, 29.05.2012