Starke Interpretation

Lauterbacher Anzeiger, „Die schöne Müllerin“ - 13.06.2014
Foto: Günkel

LIEDERZYKLUS Knut Schoch (Tenor) und Carsten Linck (Gitarre) führten „Die schöne Müllerin“ auf

LAUTERBACH (Martin G. Günkel). 

Gitarren-Transkriptionen von Schubert-Liedern gab es von Anfang an, denn vor 200 Jahren stand nicht überall ein Klavier. Der Tenor Knut Schochund der Gitarrist Carsten Linck knüpften bei den Lauterbacher Pfingstmusiktagen daran an. In der Schlosskapelle Eisenbach führten sie Lincks eigene Transkription von Franz Schuberts Zyklus „Die schöne Müllerin“ auf. Diese Interpretation war außergewöhnlich – und das bei Weitem nicht nur der Gitarren-Version wegen.

Als es noch nicht in so vielen Wohnzimmern Klaviere gab und erst recht keine Tonträger, ging es oft darum, ein Werk überhaupt einmal hören zu können. Anton Diabelli schrieb seine Lieder deshalb von vorn herein sowohl in Klavier- als auch in Gitarren-Versionen. Zudem transkribierte er Lieder anderer Komponisten für die Gitarre, darunter etliche aus dem „Müllerin“-Zyklus.

Wie Carsten Linck dem Publikum erklärte, besaß Franz Schubert selbst eine Gitarre. Sie sei vermutlich sein Probier-Instrument gewesen, als er im Krankenhaus die ersten Skizzen zur „Müllerin“ schrieb. Viele der Klavierparts beinhalteten Figuren, die eigentlich typisch für die Gitarre seien.

Linck spielte einen Nachbau einer Gitarre aus der Zeit um 1800. Diese Bauweise hat unter anderem einen kleineren Korpus und weniger Saitenspannung als die Konzertgitarren, wie sie heute verbreitet sind.

Beide Musiker nutzten konsequent die Möglichkeiten ihrer Besetzung und schufen eine Interpretation, die ein Klavier mit donnernden Bässen nicht vermissen ließ. Eine Gitarre ist deutlich leiser als ein Klavier. Sowar die Stimme Knut Schochs zwar voluminöser als Lincks Instrument, doch der Gitarrist spielte mit einer Präsenz und Plastizität, durch die seine Klänge jederzeit vernehmbar waren. Der Instrumental Part ist keine reine Begleitung, sondern reichert die Musik stets mit Farben und Figuren an – und das kam auch mit der Gitarre bestens zur Geltung. Die Mischung stimmte ganz einfach.

Der Gitarrist variierte passend zur Musik permanent die Anschlagsstärke und auch die Position der Anschlagshand (ein Anschlag direkt hinter dem Griffbrett klingt weicher und wärmer, einer am hinteren Ende des Schallloches heller und durchdringender). Knut Schochhatte durchweg einen höchst natürlichen Stimmklang, der vermutlich auch Hörern gefallen würde, die den so genannten klassischen Gesang sonst nicht mögen. Beide reagierten wunderbar auf die Stimmungsschwankungen und -nuancen, die ganze Dramaturgie der einzelnen Lieder und des gesamten Zyklus.

In der ersten Hälfte des Zyklus lernt das lyrische Ich, ein wandernder Geselle, die schöne Müllerin kennen, verliebt sich in sie und kommt mit ihr zusammen. Auf intensive Art und Weise inszeniert Schubert die gespannte Erwartung, die Euphorie, das Träumerische und so weiter. Er nimmt dabei komplett die Perspektive des Protagonisten ein und verbreitet eine positive Stimmung, die viel zu schön ist, um wahr zu sein. Dem ließen Knut Schoch und Carsten Linck ebenso freien Lauf wie dem Wendepunkt und seinen Folgen. Der Protagonist verliert die Müllerin sehr bald an einen Jäger. Er macht seiner Wut zunächst Luft – wobei selbst dieser Moment in Schochs und Lincks Interpretation die ganze Aggressivität hatte, die beim Klavier mit harten Bässen unterstrichen werden kann. Zum Ende hin verfällt der Protagonist in eine tiefe Depression. In Liedern wie „Trockne Blumen“ erzeugt Schubert ein beklemmendes Gefühl der Verlorenheit. Das letzte Lied des Zyklus, „Des Baches Wiegenlied“, ist eine Selbstmordphantasie. Schubert bleibt auch hier dabei, dass er die Hörer nicht aus der Perspektive des Protagonisten herauslässt. Statt in Musik zu setzen, wie desolat der Zustand der Hauptfigur ist, stellt er den selbstgewählten Tod ausschließlich als Beruhigung und Befreiung dar.

Die Radikalität des Werks kam bei Schochund Linck ganz und gar durch. Ihre Interpretation ging bis an die Grenzen des Erträglichen und wurde genau deshalb dem Zyklus gerecht. Das war so intensiv, dass die Art der Besetzung schon nach wenigen Minuten in den Hintergrund trat zugunsten dessen, was Schubert erzählt und wie er es erzählt. Es war eine der stärksten Interpretationen dieses Zyklus überhaupt.

 

Quelle: Printausgabe Lauterbacher Anzeiger, "Starke Interpretation", Link zur Quelle, 10.06.2014

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